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„Zahnprävention kommt bei vielen Menschen zu kurz“

13. Dezember 2019

Studie mit Heidelberger Beteiligung zeigt, dass die globalen Versorgungssysteme mangelhaft sind

„Neue Zähne für meinen Bruder und mich“ sang einst die Band Superpunk und prangerte damit die zahnmedizinische Unterversorgung vor allem von ärmeren Menschen an. Eine unlängst veröffentlichte Artikel-Serie in der renommierten Fachzeitschrift Lancet belegt den Songtext der Hamburger Punk- und Rockband nun mit belastbaren Zahlen: Das internationale Forscherteam, darunter auch Professor Stefan Listl von der Sektion Translationale Gesundheitsökonomie der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde am Universitätsklinikum Heidelberg, kommt zu dem Schluss, dass die globalen Versorgungssysteme mangelhaft sind. Insbesondere in Ländern mit mittleren und niedrigen Einkommen ist die Zahnversorgung unzureichend, da für Großteile der Bevölkerung der Zugang zu einer entsprechenden Behandlung erheblich erschwert bzw. gar nicht vorhanden ist. Die Autoren identifizieren außerdem Mängel hinsichtlich wirksamer präventiver Strategien, um die Entstehung von Zahnschäden und deren Folgen bevölkerungsweit zu vermeiden.

In Deutschland mit seinen mehr als 50.000 Zahnarztpraxen kann von einem erschwerten Zugang zu Zahnärzten und Co. keine Rede sein. Trotzdem ist die zahnmedizinische Versorgungssituation in manchen Bereichen der Bevölkerung nicht zufriedenstellend. Vor allem die Prävention kommt zu kurz. Professor Listl: „Es gibt gesellschaftliche Gruppen, die aus verschiedenen Gründen nie den Weg in die Zahnarztpraxis finden und wenn Zahnmedizin erst beim Zahnarzt anfängt, sind diese Menschen zahnmedizinisch schlicht und ergreifend nicht gut versorgt.“ Die Betroffenen büßen durch Erkrankungen der Zähne auch erheblich an Lebensqualität ein. „Die sozialen und gesellschaftlichen Konsequenzen sind gravierend“, so Professor Listl weiter, „der entstehende Verlust an Produktivität, weil Betroffene nicht ihrem gewohnten Arbeitsalltag nachgehen können, wird auf etwa 12 Milliarden Euro jährlich geschätzt.“

Die Autoren kritisieren weiterhin die derzeitige Art der zahnärztlichen Vergütung, die finanzielle Anreize zur Unter-, Über- und Fehlversorgung bietet. Die Wissenschaftler fordern mehr präventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen, die bevölkerungsweit wirksam sind. Professor Listl: „Dazu zählen eine wirksame Regulierung von Risikofaktoren wie Rauchen, Zucker und auch Alkohol, aber auch eine Einschränkung von Werbung für zuckerhaltige Getränke. Außerdem kritisieren wir, dass die Finanzierung der zahnmedizinischen Forschung teilweise auch durch Firmen erfolgt, die ihr Geld mit dem Vertrieb von zuckerhaltigen Produkten verdienen.“

„Wenn Zahnmedizin erst beim Zahnarzt anfängt, sind diese Menschen zahnmedizinisch schlicht und ergreifend nicht gut versorgt.“

Professor Stefan Listl, Poliklinik für Zahnerhaltungskunde und Mitautor der Artikel-Serie

Für Professor Listl ist die Lancet-Veröffentlichung erst der Start einer Diskussion, nicht das Ende. „Ich bin jedenfalls gespannt darauf, ob und wie sich die Fachgesellschaften, die Politik oder auch andere Gruppen dazu äußern“, blickt der Zahnmediziner erwartungsfroh in die Zukunft.

Zentrale Aussagen der Artikel-Serie im Lancet:

  • Erkrankungen der Zähne zählen zu den häufigsten nicht übertragbaren Krankheiten überhaupt.
  • In Ländern mit mittleren und niedrigen Einkommen ist die Zahnversorgung unzureichend, da für Großteile der Bevölkerung der Zugang zu einer entsprechenden Behandlung erheblich erschwert bzw. gar nicht vorhanden ist.
  • In Deutschland kommt die Prävention vor allem bei gesellschaftlichen Gruppen zu kurz, die nie den Weg in die Zahnarztpraxis finden.
  • Die Ursachen für Zahnbeschwerden sind häufig sozioökonomischer Natur.

Zur >> Lancet Artikel-Serie „Oral Health“

Bild von LionFive auf Pixabay

Kurzmeldungen aus der Forschung

Chronische Gallenwegserkrankung: Regelmäßige Endoskopie sinnvoll

Patienten mit der seltenen Gallenwegserkrankung primär sklerotisierende Cholangitis (PSC) profitieren stärker von einer regelmäßigen endoskopischen Kontrolle und Weitung der Gallenwege als von einem Therapieschema nach aktuellen Leitlinien, die eine endoskopische Diagnostik und Behandlung nur bei bestimmten Symptomen vorsehen. In einer Langzeitstudie des Interdisziplinären Endoskopiezentrums (IEZ) hat die Arbeitsgruppe um PD Dr. Christian Rupp und Prof. Dr. Peter Sauer Daten von 286 Patienten mit PSC über einen Zeitraum von 30 Jahren analysiert. Die Erkrankung ist durch Entzündung, Vernarbung und Zerstörung der Gallenwege gekennzeichnet. An Engstellen staut sich Galle, was letztlich zu Leberversagen führt, welches bisher nur durch eine Lebertransplantation behandelt werden kann. Die Studie ist die erste Langzeitstudie, die einen deutlichen positiven Einfluss der regelmäßigen endoskopischen Kontrolle und Behandlung auf das Gesamtüberleben und das Überleben ohne Lebertransplantation bei PSC-Patienten zeigt.

Bluthochdruck-Patienten im Globalen Süden unzureichend versorgt

Das Gesundheitswesen in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen ist häufig unzureichend auf die zunehmende Zahl von Bluthochdruck-Erkrankungen vorbereitet. Nur ein Bruchteil der Betroffenen ist ausreichend versorgt, wie Forschungsgruppen unter Leitung der Harvard T.H. Chan School of Public Health, der Universität Göttingen und der Medizinischen Fakultät Heidelberg herausgefunden haben. Sie analysierten die Versorgung in 44 Ländern des Globalen Südens: Bei weniger als der Hälfte der Betroffenen wird der Bluthochdruck diagnostiziert, nur 30 Prozent dieser Patienten werden behandelt und ein Zehntel hat die Krankheit unter Kontrolle. „Bluthochdruck ist dort bereits eine der großen Volkskrankheiten und wird immer häufiger, da die Bevölkerung altert. Die Studie liefert wichtige Erkenntnisse für politische Entscheidungsträger“, so Prof. Dr. Till Bärnighausen vom Institut für Globale Gesundheit. Als gute Vorbilder gehen aus der Studie die Länder Costa Rica, Bangladesch, Brasilien, Ecuador, Kirgistan und Peru hervor.

Rückkehr eines Hirntumors verhindern

Jeder sechste Patient mit einem Tumor der Hirnhaut, einem sogenannten Meningeom, erleidet nach der Therapie einen Rückfall. Die Gründe dafür untersucht eine Arbeitsgruppe um Dr. Felix Sahm, Abteilung für Neuropathologie, gemeinsam mit Teams der Universitätskliniken Dresden, Düsseldorf, Hamburg, Magdeburg und München. Ihr Ziel: Herausfinden, warum einige Meningeome aggressiver wachsen als andere, verbesserte Prognose-Methoden entwickeln und neue Therapiemöglichkeiten schaffen. So sollen zukünftig Blutuntersuchungen und neue bildgebende Verfahren schon vor der Operation Rückschlüsse auf den weiteren Krankheitsverlauf ermöglichen, um die Therapie frühzeitig anpassen zu können. Neue Therapieverfahren, die an den biologischen Mechanismen des Tumors ansetzen, sollen entwickelt und in klinischen Studien zügig für Patienten mit erneut aufgetretenem Tumor verfügbar gemacht werden. Die Deutsche Krebshilfe unterstützt das Verbundprojekt mit 1,75 Millionen Euro.

Erfolgreiche Sonderforschungsbereiche

Ein großer Erfolg für die Medizinische Fakultät der Universität Heidelberg: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert zwei bereits bestehende Sonderforschungsbereiche (SFB) und einen neuen SFB mit insgesamt rund 34 Millionen Euro für die nächste Förderperiode von vier Jahren. Im SFB 1158 geht es um die Frage, wie aus akuten Schmerzen chronische werden und wie sich dieser Übergang verhindern oder umkehren lässt. Sprecherin ist Prof. Dr. Rohini Kuner, Direktorin des Pharmakologischen Instituts. Im überregionalen SFB-Transregio 156 „Die Haut als Koordinator lokaler und systemischer Immunantworten“ erforschen Wissenschaftler die Rolle der Haut bei der Abwehr von Krankheitserregern. Sprecher ist Prof. Dr. Alexander Enk, Direktor der Universitäts-Hautklinik. Neu eingerichtet wird der SFB 1389 „UNITEGLIOBLASTOMA “ zur Erforschung der Glioblastome, in dem Therapie-Resistenzen bei diesen bösartigen Hirntumoren verstanden und gezielt bekämpft werden sollen. Sprecher ist Prof. Dr. Wolfgang Wick, Direktor der Neurologischen Klinik und Leiter der Klinischen Kooperationseinheit Neuroonkologie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ).

Amyloidose: Krankhafte Eiweißablagerungen besser verstehen

Bei der seltenen Erkrankung „systemische Leichtketten-Amyloidose“ lagern sich fehlerhaft geformte Eiweiße in den Organen ab und verursachen dort schwere Schäden. Wie es dazu kommt und warum die vom Knochenmark in Blut abgegebenen Eiweiße – je nach Ausprägung der Erkrankung – überwiegend Herz oder Nieren befallen, wollen Wissenschaftler aus Ulm, Heidelberg, Erlangen-Nürnberg, München und Kiel in den kommenden drei Jahren gemeinsam untersuchen. Sie werden dabei von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit 2,1 Millionen Euro gefördert. Das Heidelberger Amyloidose-Zentrum unter Leitung von Prof. Dr. Ute Hegenbart und Prof. Dr. Stefan Schönland (Leiter der Amyloidose-Ambulanz) steuert unter anderem Material aus seiner umfassenden Bio- und Datenbank bei. Derzeit werden dort mehr als 800 Patienten behandelt. Die Ergebnisse sollen langfristig die Frühdiagnose und somit die Versorgung betroffener Patienten verbessern.

 

 

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