Gewusst

Werden wir unser Handy bald mit Gedanken bedienen?

13. Dezember 2019

von PD Dr.-Ing. Rüdiger Rupp, Klinik für Paraplegiologie – Sektion für Experimentelle Neurorehabilitation

In regelmäßigen Abständen werden in Zeitungen und Fernsehen Bilder von Menschen mit ausgedehnten Lähmungen von Armen und Beinen gezeigt, die mit Elektroden auf oder im Gehirn ihren Elektrorollstuhl oder einen Roboterarm kontrollieren. Nun haben sich auch Tesla- und SpaceX-Gründer Elon Musk und Facebook-Chef Mark Zuckerberg medienwirksam zu Wort gemeldet und prophezeien die direkte Gedankensteuerung von Laptops und Smartphones. Könnte das tatsächlich bald Realität werden?

An der Nutzung von Gehirnsignalen für die direkte Steuerung von Geräten wird bereits seit 30 Jahren geforscht. Die dafür verwendeten Systeme werden „Brain-Computer Interfaces“, kurz BCIs, genannt. In der Praxis kommen hauptsächlich nichtinvasive BCIs zum Einsatz, bei denen elektrische Hirnaktivitäten mittels einer auf dem Kopf sitzenden Elektrodenhaube aufgezeichnet und von einem Computer ausgewertet werden. Aufgrund ihrer definierten Lage sind die Aktivitäten der motorischen Hirnareale von besonderem Interesse. Hier macht man sich die Tatsache zu Nutze, dass die motorischen Nervenzellennetzwerke in Ruhe im Gleichtakt feuern, aber sowohl bei der Ausführung als auch der Vorstellung einer Bewegung aus dem Takt geraten. Diese Veränderungen werden von einem Computer erkannt und lösen – bei jedem Überschreiten eines definierten „Unruhe“-Schwellenwerts – einen Befehl an ein Steuergerät aus. So konnte auch in Forschungsarbeiten an der Klinik für Paraplegiologie erfolgreich gezeigt werden, dass Menschen mit ausgefallener Armfunktion einen teilautonomen Rollstuhl oder eine Greifneuroprothese steuern können.

Leider können mit nichtinvasiven BCIs nur Vorstellungen von groben Bewegungen wie linker oder rechter Hand unterschieden werden, weil eine einzelne Elektrode die Aktivität von hunderttausenden Nervenzellen aufzeichnet. Nichtinvasive BCIs funktionieren auch nach langwierigem Training nicht bei jedem (leider auch bei mir aufgrund eines fehlenden Gleichtakts der Neuronennetzwerke in Ruhe). Neben der schwierigen Handhabung der mit Gel anzubringenden Elektroden stellen aber fälschlicherweise erkannte Befehle (im Mittel alle drei Minuten) die Haupthindernisse für die regelhafte Nutzung im Alltag dar.

„An der Nutzung von Gehirnsignalen für die direkte Steuerung von Geräten wird bereits seit 30 Jahren geforscht.“

Die Signalqualität und Selektivität wird um Größenordnungen besser, wenn man die Elektroden in das Gehirn einbringt. Seit etwa zehn Jahren experimentiert man mit Elektrodenchips von bis zu 200 Elektroden, mit denen die elektrischen Aktivitäten einer Vielzahl von einzelnen Nervenzellen abgeleitet werden. Die Performance ist im Gegensatz zu den oberflächlichen BCIs um ein Vielfaches größer, so dass ab dem Hals abwärts Gelähmte damit einen mehrgelenkigen Roboterarm intuitiv steuern und wieder selbständig Essen konnten. Allerdings funktionieren die implantierten Elektroden aufgrund von mangelnder Langzeitstabilität nur etwa ein Jahr einwandfrei. Ein Austausch ist ohne Zerstörung des umliegenden Nervengewebes nicht möglich. Der Algorithmus zur Bewegungsdekodierung muss jeden Morgen neu angelernt werden. An diesem Punkt ist noch einiges an Grundlagenforschung notwendig, weil noch nicht vollständig bekannt ist, wie unser Gehirn komplexe Bewegungen zeitlich präzise koordiniert. Erst dann besteht berechtigte Hoffnung zum Einsatz von invasiven BCIs im Alltag.

Was ist also nun dran an Musks und Zuckerbergs Ankündigungen von einer gedankenbasierten Computertexteingabe von 40 Worten pro Minute mittels invasiver BCIs? Abstrakte Vorstellungen, wie der Gedanke an ein zu tippendes Wort, entstehen verteilt in vielen Hirnregionen, welche alle mit Elektroden „angezapft“ werden müssten. Selbst wenn mit ausgefeilten Methoden der künstlichen Intelligenz damit einzelne Wörter erkannt werden könnten, wäre das Risiko des Einbaus dieser Vielzahl an Elektroden immens.

Wir werden also bis auf weiteres WhatsApp und Co weiter mit den Fingern bedienen müssen.

 

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