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Talent statt Wartezeit

13. Dezember 2019

Gerechtere Wege ins Medizinstudium – auch dank der Medizinischen Fakultät Heidelberg

Medizinstudienplätze sind hart umkämpft: Lange galten eine Abiturnote von 1,0 oder eine Wartezeit von mehreren Jahren als sichere Wege, um Arzt werden zu können. Im Jahr 2017 kam der Paukenschlag: Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass das gängige Vergabeverfahren verfassungswidrig ist und bis Ende 2019 neu geregelt werden muss. Die Medizinische Fakultät Heidelberg, an der die Koordinierungsstelle für den „Test für Medizinische Studiengänge“ (TMS) angesiedelt ist, war bei den Beratungen des Gerichts vertreten. Sie gab wichtige Impulse zur Neugestaltung des Verfahrens – damit in Zukunft diejenigen schnell einen Studienplatz bekommen, die besonderes Talent für das Medizinstudium zeigen.

Wie wählen die Hochschulen unter Tausenden von Abiturienten aus – und woran erkennen sie, wer aus ihrer Sicht besonders geeignet für dieses aufwändige Studium ist? Bislang setzten die 36 Medizinischen Fakultäten in Deutschland verschiedene Testverfahren für die Auswahl von Studenten/-innen ein, welche den Erfolg im Medizinstudium unterschiedlich gut vorhersagen. „Die Verfassungsrichter forderten nun ein transparenteres Verfahren, das in allererster Linie die Eignung für das Studium und den Arztberuf prüfen muss“, sagt Prof. Dr. Martina Kadmon (Foto). Sie leitet die Heidelberger TMS-Koordinierungsstelle und betreut gemeinsam mit ihrem Team das aufwändige Auswahlverfahren. Vor dem Bundesverfassungsgericht wurde sie als Sachverständige angehört.

Mit dem Ziel, sicherer als bisher die Eignung von Bewerbern abschätzen zu können, fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit drei Millionen Euro einen Forschungsverbund, an dem die Medizinische Fakultät Heidelberg maßgeblich beteiligt ist. Die Gesamtleitung dieses „Studierendenauswahlverbundes“ liegt beim Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Beteiligt sind neben Heidelberg auch die Charité Berlin und die Universitäten Göttingen, Münster und Saarbrücken. In Heidelberg werden im Zuge des Forschungsprojektes unter anderem die Daten einer Vielzahl von in Deutschland eingesetzten Auswahlverfahren erneut und erstmals standortübergreifend evaluiert.

Engagement mit Tradition

Neben dem bekannten TMS, der die Teilnehmer vor allem auf ihre kognitiven Kompetenzen untersucht, sind weitere Testverfahren in Vorbereitung. So erforscht ein Team um Prof. Dr. Sabine Herpertz, Studiendekanin der Medizinischen Fakultät Heidelberg, beispielsweise sogenannte Multiple Mini-Interviews zur Messung sozialer und kommunikativer Fähigkeiten. Ein weiterer Forschungsverbund, an dem neben Heidelberg auch die Fakultäten Tübingen und Freiburg beteiligt sind, widmet sich der Untersuchung des Einflusses von berufspraktischer Erfahrung auf den Studienerfolg.

Das Engagement für gerechte Wege ins Medizinstudium hat an der Universität Heidelberg eine lange Tradition, denn im hochschuleigenen Auswahlverfahren wird das Ergebnis des TMS im Vergleich zum Abiturschnitt schon seit Jahren besonders hoch gewertet: „Wir haben uns früh mit der Ausweitung von Auswahlkriterien jenseits der Abiturnote beschäftigt und erfüllen bereits seit über zehn Jahren in weiten Teilen die vom Bundesverfassungsgericht angemahnten Änderungen. Die Studierenden mit einem exzellenten TMS-Ergebnis sind genauso erfolgreich im Medizinstudium wie die Studierenden mit einem Abiturschnitt von 1,0. Sie sind sowohl akademisch als auch sozial sehr gut integriert und bringen Eigenschaften mit, von denen die gesamte Studierendenkohorte profitiert“, fasst Martina Kadmon zusammen.

Wunder? Studienplatz!

Ein Gewinner dieses Heidelberger Weges ist der Heidelberger Medizinstudent Fabian Schlösser (23): „Ich brauchte ein Wunder“, beschreibt er seine Situation vor fünf Jahren: Sein Abitur ist mit einem Schnitt von 2,1 zwar nicht schlecht, aber auch nicht sensationell gut und eben weit entfernt von der Note 1,0. Schlösser fängt an, sich wie ein Sportler auf den TMS vorzubereiten. Er befasst sich intensiv mit den Übungsaufgaben und trainiert unter möglichst echten Bedingungen den achtstündigen Aufgaben-Marathon. Am 10. Mai 2014 ist der entscheidende Tag, denn den „Medizinertest“ kann man nur einmal im Leben machen. Schlösser frühstückt Bananen und behält ansonsten die Nerven. Das Wunder geschieht: Er erreicht ein sensationelles Testergebnis von 99 Prozent. Doch selbst dieser Erfolg hätte nicht ausgereicht, um überall einen Medizinstudienplatz zu bekommen. Schlösser profitiert von dem besonderen Schlüssel, nach dem die beiden Medizinischen Fakultäten Heidelberg und Mannheim ihre Erstsemester auswählen – und bekommt die ersehnte Zusage. Mittlerweile ist er im 10. Semester, schreibt an seiner Doktorarbeit – und denkt immer noch gern an den Test zurück: „Das war schon eine wirklich gute Sache“, sagt er. Claudia von See

>> Hintergrund

Engagement der Medizinischen Fakultät für die Studierendenauswahl

  • TMS-Koordinierungsstelle: Von Heidelberg aus wird für über 15.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer jährlich die Durchführung des „Tests für Medizinische Studiengänge“ (TMS) organisiert.
  • Forschung: Verschiedene Projekte leisten – häufig in Kooperation mit anderen Fakultäten – einen wesentlichen Beitrag, um wissenschaftlich fundierte Auswahlverfahren für Studierende zu entwickeln.
  • Studierendenauswahl: Das Studiendekanat prüft und entscheidet über die Bewerbungen, die eingehen.

Test für Medizinische Studiengänge (TMS)

Der Test für Medizinische Studiengänge (TMS) ist ein spezifischer Studierfähigkeitstest, der das Verständnis für naturwissenschaftliche und medizinische Problemstellungen prüft. Mit Hilfe des Tests, der aus verschiedenen Untertests besteht, wird festgestellt, inwieweit der Bearbeiter komplexe Informationen, welche in längeren Texten, Tabellen oder Graphiken dargeboten werden, zu erfassen und richtig zu interpretieren vermag, ferner, wie gut er mit Größen, Einheiten und Formeln umgehen kann. Des Weiteren prüft der TMS die Merkfähigkeit, die Genauigkeit der visuellen Wahrnehmung, das räumliche Vorstellungsvermögen und die Fähigkeit zu konzentriertem und sorgfältigem Arbeiten. Nicht geprüft werden fachspezifische Kenntnisse, die Gegenstand der Abiturprüfung oder einer anderen Prüfung sind, welche die Hochschulreife vermittelt. Der Test für Medizinische Studiengänge findet einmal im Jahr statt, die Teilnahme ist freiwillig. Jede Person ist nur einmal zur Teilnahme in Deutschland berechtigt. Die am TMS beteiligten Hochschulen beauftragen die zentrale TMS-Koordinierungsstelle, die an der Medizinischen Fakultät Heidelberg angesiedelt ist, mit der Organisation und Koordination des TMS.

Welche Wege führen zukünftig ins Medizinstudium? Die Grafik zeigt es:

 

 

 

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