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So lange die Lampe des Lebens brennt

7. Mai 2019

Die Mitarbeiter der Neurologischen Intensivstation und ihr Konzept zur Versorgung sterbender Patienten

Universitäre Hochleistungsmedizin auf einer Intensivstation und die gleichzeitige Betreuung von Patienten, die nur noch kurze Zeit zu leben haben? Funktioniert das überhaupt? Das muss funktionieren, dachte sich Intensiv-Fachkrankenpfleger Marco Pumptow und entwickelte mit seinen Kolleginnen und Kollegen von der Neurologischen Intensivstation ein Konzept zur Versorgung von Palliativpatienten.

Es ist angenehm ruhig auf der „Neuro-Intensiv“ in der Kopfklinik. Eigentlich, so könnte man vermuten, sollte es hier wesentlich stressiger zugehen. Hektisch umherlaufende Ärzte, Pfleger und Schwestern, lautes Rufen, grelles Licht, vielleicht auch mal der ein oder andere Fluch – alles Fehlanzeige. Was einem aber sofort ins Auge fällt, ist die Lampe, die mitten auf der Stationskanzel steht und ihr spärliches Licht in den Raum abgibt. „Das ist unsere Lebenslampe“, erklärt Marco Pumptow. „Sie leuchtet immer dann, wenn ein Patient oder eine Patientin unserer Station im Sterben liegt. Sie signalisiert jedem, der hier arbeitet oder die Station betritt, sich ruhig und besonnen zu verhalten.“

Die Lampe des Lebens steht sinnbildlich für das auf der Station eingeführte Konzept zur Pflege von Patienten, die aufgrund der Schwere ihrer Erkrankung in ihrer letzten Lebensphase angelangt sind. Sie symbolisiert, wie die Mitarbeiter auf der Station mit sterben Menschen umgehen möchten: Mit Würde, viel Respekt und dem Wissen, bis zuletzt professionell für die Patienten da zu sein. Keine leichte Aufgabe auf einer Intensivstation, wo normalerweise „High-End Medizin“ im Vordergrund steht und die Pflegenden eigenverantwortlich Diagnose- und Therapiemaßnahmen durchführen: Beatmung überwachen und steuern, zentralen Venendruck messen, Blutentnahmen durchführen und Infusionen verabreichen gehören hier fest zum Arbeitsalltag. Marco Pumptow: „Wer als Pflegerin oder Pfleger auf einer Intensivstation arbeitet, liebt medizinisch und pflegerisch höchst anspruchsvolle Tätigkeiten – immer verbunden mit dem Ziel, den Patienten wieder gesund zu machen.“

Ist der Patient allerdings so schwer erkrankt, dass eine Heilung nicht mehr möglich ist, wird die Therapie eingestellt bzw. auf das Mindestmaß reduziert. Dies ist bei 20 bis 25 Prozent aller Schlaganfall-Patienten in den ersten vier Wochen nach Krankheitseintritt der Fall. Dieser Übergang von einem kurativen zu einem palliativen Behandlungsansatz vollzieht sich oft innerhalb weniger Stunden – wenn nicht die Patienten sogar in einem unheilbaren Zustand eingeliefert werden. Für Marco Pumptow und seine Kollegen ist das keine leichte Situation: „Das Sterben ist auf der Station kein schleichender Prozess, auf den man z. B. die Angehörigen behutsam vorbereiten kann. Auch für uns Pflegende heißt es, innerhalb kürzester Zeit gedanklich eine Kehrtwende zu machen. Umso wichtiger sei es gewesen“, so Marco Pumptow weiter, „mit einem Palliativ-Care-Konzept für die Intensivstation Prozesse zu etablieren, die einen professionellen Übergang von der kurativen zur palliativen Versorgung gestalten.“

 „In der Phase des Sterbens kann man aus pflegerischer Sicht mit sehr vielen kleinen Tätigkeiten große Wirkung bei den Patienten erzielen.“

Marco Pumptow, Intensiv-Fachkrankenpfleger und Palliativ-Care-Fachkraft

Voraussetzung für ein ethisch angemessenes Sterben und ein Abschied nehmen mit Würde auf der Intensivstation sind die Rahmenbedingungen. Dazu gehört ein Einzelzimmer für den Sterbenden genauso wie die Hinzunahme einer Seelsorge. Aus pflegerischer Sicht lautet das oberste Ziel Symptomkontrolle. Dafür wurde ein Leitfaden mit Behandlungsstandards erstellt, die sich an aktuellen Empfehlungen bzw. an der aktuellen Fachliteratur orientieren. Sie geben den Pflegenden Sicherheit und Orientierung, auf welche Symptome –  also z. B. Schmerzäußerungen, Rasselatmung, Störung der Wahrnehmung oder Mundtrockenheit – zu achten und mit welchen pflegerischen Tätigkeiten diesen zu begegnen ist.

Marco Pumptow: „Es müssen nicht bei jedem Patienten alle Pflegemaßnahmen zum Einsatz kommen. Wichtig war, bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Bewusstsein zu schaffen, dass man in der Phase des Sterbens aus pflegerischer Sicht mit sehr vielen kleinen Tätigkeiten große Wirkung bei den Patienten erzielen kann.“ Wichtiger Bestandteil ist auch die Kommunikation mit den Angehörigen und die Anwendung alternativer Behandlungsmöglichkeiten wie ätherischer Öle und Einreibungen.

Die Erfahrungen des Stationsteams seit der Einführung des Pflegekonzepts vor zwei Jahren sind durchweg positiv – auch wenn es in der Natur der Sache liegt, dass man den Patienten nicht mehr nach seiner Meinung fragen kann. Doch Marco Pumptow ist sich sicher: „Unser Leitfaden hilft, eigene Handlungen zu überdenken, das eigene Tun zu hinterfragen und erhöht dadurch die Kompetenz, palliativ angemessen zu pflegen.“ Bei ihm hat die persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema jedenfalls dazu geführt, dass er sich zukünftig noch mehr um Palliativpatienten kümmern wird: Seit Februar verstärkt er das Palliativ-Care-Team SAPHIR am Universitätsklinikum Heidelberg. Das Konzept zur Versorgung von Palliativpatienten auf der Neurologischen Intensivstation, das steht für ihn außer Frage, wird aber auch ohne ihn weiter umgesetzt.

 

>> Das Konzept zur Versorgung von Palliativpatienten

  • Ruhige, stressfreie Rahmenbedingungen schaffen (Einzelzimmer)
  • Aufstellung der Lebenslampe
  • Palliativkiste (Medikamente, ätherische Öle)
  • Seelsorge bzw. spirituellen Beistand anbieten
  • Gespräche anbieten / offenes Ohr für alle Beteiligten
  • Kontrolle der Symptome und Eingehen auf die Bedürfnisse der Patienten im Hinblick auf:
  1. Schmerzen: Der Schmerz und seine Auswirkungen auf Körper und Psyche wird als Ganzes wahrgenommen. Schmerzmittel der Wahl ist Morphin. Als Orientierung zur Schmerztherapie dient das „WHO-Stufenschema“.
  2. Delir: Ein Delir – eine Störung des Bewusstseins, der Aufmerksamkeit und der Wahrnehmung (Gedächtnis, Orientierung) – tritt in der Palliativmedizin häufig auf.
  3. Atemnot: Atemnot ist nicht durch Messwerte objektivierbar! Entscheidend sind die Angaben des Patienten! Morphin ist ein sehr gutes Mittel, um Atemnot zu lindern.
  4. Übelkeit und Erbrechen: Neurologische Ursachen (Hirndruck, Ödeme, Hirnhautentzündung), Schwindel, gastrointestinale Ursachen (Verstopfung) und verschiedene Medikamente können Übelkeit und Erbrechen auslösen.
  5. Ernährung: In der Regel haben Sterbende sehr wenig bis gar keinen Hunger. Der Stoffwechsel verändert sich – der Mensch zieht sich zurück. Ernährung kann zu Problemen wie Einlagerungen, Schmerzen, Erbrechen, Übelkeit, Durchfall oder auch Atemproblemen (Lungenödem) führen.
  6. Flüssigkeitsgabe: Angebracht ist die Gabe von Flüssigkeit (per Infusion oder Magensonde) bei Verwirrtheit, massivem Erbrechen oder Durchfall.
  7. Mundtrockenheit: Kommt aufgrund einer verminderten Speichelproduktion sehr häufig vor und wird von den Sterbenden als äußerst unangenehm empfunden. Eine sorgfältig durchgeführte Mundpflege kann oftmals die Lebensqualität erheblich verbessert werden. Angehörige können mit einbezogen werden.
  8. Rasselatmung: Ein rasselndes Atemgeräusch, das durch Sekret und Speichel in Mund, Rachen und Luftröhre aufgrund von vermindertem Husten- und Schluckreflex entsteht. Dies kann auf die Angehörigen sehr beunruhigend wirken. Solange die Atemwege frei sind, ist davon auszugehen, dass dies den Patienten nicht beeinträchtigt.
  9. Lagerung zur Dekubitus- und Pneumonieprophylaxe: Hier gelten alle und keine Lagerungsregeln! Oberstes Ziel ist das Wohlbefinden des Patienten.

Kontakt

Marco Pumptow

Palliative-Care-Team SAPHIR

E-Mail: marco.pumptow@med.uni-heidelberg.de

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