Drei Heidelberger Medizinstudierende und ihre Erfahrungen mit der Vorklinik
Manchmal scheint die Vorklinik – die ersten vier Semester des Medizinstudiums – ein einziger Prüfungsmarathon zu sein. Praktische Übungen und abwechslungsreiches Lernen sind meist Fehlanzeige. „Durchhalten ist alles“, lautet deshalb nicht selten die Devise. Doch nicht so in Heidelberg: Hier werden die Studierenden nach einem Lehrkonzept ausgebildet, das Theorie und Praxis verbindet und wissenschaftliches Denken und lösungsorientiertes Handeln in den Vordergrund rückt.
Das Konzept ist bundesweit einzigartig: Theoretische Inhalte werden in interdisziplinären und themenzentrierten Unterrichtsformen vermittelt und durch Praxisanteile sowie Unterricht am Patienten oder an Diagnose- und Therapiegeräten ergänzt. Insbesondere die Fächer Anatomie, Biochemie und Physiologie sind eng aufeinander abgestimmt. Gemeinsame Vorlesungsreihen sorgen dafür, dass Organe und Krankheitsbilder in ihrer Gesamtheit aufgegriffen werden können. „Dabei nutzen wir die Freiheiten, die uns die Approbationsordnung lässt“, erklärt Dr. Stefan Titz, Lehrkoordinator für das Fach Physiologie und eng in die Entwicklung des Curriculums eingebunden.
Wie die Umsetzung in der Praxis aussieht, beleuchten drei Heidelberger Studierende aus unterschiedlichen Blickwinkeln: Tom Fischer hat die Vorklinik fast hinter sich und steckt in den Vorbereitungen zum ersten Staatsexamen, Elena Katelari studiert bereits im sechsten Semester und Stefan Soleder schreibt aktuell an seiner Doktorarbeit.
Vor allem die Praxisanteile wie den Ultraschallkurs bewerten alle drei als positiv. „Hier in Heidelberg ist man verwöhnt, weil man schon als Student viel Ultraschall-Erfahrung sammeln kann“, erzählt Soleder. Im anschließenden Praktikum, der sogenannten Famulatur, würde das niemand erwarten. „Alle sind positiv überrascht, dass man das schon kann.“ Auch die Möglichkeit, Gesprächssituationen mit Schauspielpatienten einzuüben, findet großen Anklang.
Hilfreiche Prüfungsvorbereitung: Integrierte Themenseminare
Als hilfreich für die Vorbereitung zum ersten Staatsexamen ordnen die drei die integrierten Themenseminare ein. Diese verknüpfen anatomisches, biochemisches und physiologisches Wissen mit der Klinik verschiedener Krankheitsbilder wie Mukoviszidose oder Arteriosklerose. Daneben gibt es unterschiedliche Lehrformen wie Vorlesungen, Seminare und Praktika. „Da ist für jeden Lerntyp etwas dabei“, lobt Fischer. Katelari sieht das ähnlich: „Die Kombination der Lehrformen hat mir auch sehr gut gefallen.“
Die anspruchsvollen integrierten Prüfungen am Ende des zweiten, dritten und vierten Semesters bedeuten zwar eine Menge Lernaufwand: „Doch dadurch kennt man bereits die Situation, für mehrere Fächer gleichzeitig zu lernen und interdisziplinäre Inhalte abzurufen“, sagt Fischer. „Gerade vor dem ersten Staatsexamen gibt mir das ein sichereres Gefühl.“ Dieser Ansatz zahlt sich offenbar aus: Seit zehn Jahren sind die Heidelberger Medizinstudierenden im ersten Staatsexamen bundesweit auf den ersten drei Plätzen zu finden.
„Wenn ich als Dozent will, dass Studierende integriertes Wissen erwerben, müssen auch wir Dozenten uns fächerübergreifend eng miteinander abstimmen.“
Dr. Stefan Titz, Lehrkoordinator für das Fach Physiologie
Bereits zu Beginn des Studiums werden die Studienanfänger in Gruppen à 20 Teilnehmer aufgeteilt, in denen sie gemeinsam die Vorklinik durchlaufen. Im Fach Physiologie werden diesen Gruppen sogar ein Jahr lang feste Dozenten zugeteilt. Das finden alle drei gut: „Man kommt ins Gespräch, geht auch mal zusammen mit den Kommilitonen aus“, so Fischer. Soleder ergänzt: „Auch in den Vorbereitungen zum ersten Staatsexamen profitiert man davon.“ Rückblickend bewertet er die Lehre in der Vorklinik in Heidelberg als sehr gut. „Mit dem Abstand, den ich jetzt habe, kann ich das viel mehr wertschätzen.“
Digitalisierung – Herausforderung und Chance
Alle drei haben sich aufgrund der Hochschulrankings für Heidelberg entschieden. Daher erwarten sie auch ein hohes Niveau in der Lehre: „Die Lehre an einer Universität lebt davon, dass man über den Tellerrand blickt“, findet Soleder. Titz bestätigt das: „Wenn ich als Dozent will, dass Studenten integriertes Wissen erwerben, müssen auch wir Dozenten uns fächerübergreifend eng miteinander abstimmen.“ Eine große Herausforderung und Chance sieht er in der Digitalisierung von Lehr- und Lernprozessen. Bereits bestehende Angebote sind die virtuellen Patienten, der neue elektronische Stundenplan oder Videoaufzeichnungen der Vorlesungen. „Das ist super, wenn man Inhalte nochmal hören möchte oder bei der Vorlesung verhindert war“, findet auch Fischer. Seine Bilanz: „Das integrierte Konzept ermöglicht einen einmaligen Zugang zu den Themen. Die Zusammenhänge werden uns praktisch auf dem Silbertablett präsentiert.“
Heike Dürr
Bildzeile: Stefan Soleder, Tom Fischer und Elena Katelari (v. l.) bewerten u. a. die hohen Praxisanteile und die integrierten Themenseminare im Grundstudium positiv.
Auf einen Blick
Das integrierte Konzept der Vorklinik zeichnet sich im Rahmen des Heidelberger Curriculum Medicinale (HeiCuMed) durch folgende Merkmale aus:
- Feste Gruppen von je 20 Studierenden vom ersten Semester an.
- Anatomie, Biochemie und Physiologie werden gemeinsam gelehrt.
- Integrierte Prüfungen entsprechen in Form und Anspruch bereits einem „kleinen Staatsexamen“ und stellen somit eine ideale Vorbereitung dar.
- Praktika und themenspezifische Seminare vermitteln prüfungsrelevante Inhalte und wissenschaftliche Denkweise.
- Verschiedene Lehrformen stellen einen engen Bezug von Theorie zur Praxis her.
- Studierende führen Repetitorien (Wiederholung des Lernstoffes) zur Prüfungsvorbereitung durch.
- Ein semesterübergreifendes Begleitprogramm ermöglicht eine ideale Vorbereitung auf eigenständiges wissenschaftliches Arbeiten.
Masterplan Medizinstudium 2020
Veränderte Studienstrukturen- und inhalte sollen laut dem „Masterplan Medizinstudium 2020“ die nächste Medizinergeneration optimal ausbilden. Beschlossen wurde er Anfang 2017 von Bundesgesundheitsministerium, Bundesforschungsministerium sowie Vertreterinnen und Vertreter der Gesundheits- und der Kultusministerkonferenz der Länder und der Koalitionsfraktionen des Deutschen Bundestages. Geplant sind unter anderem mehr Praxisbezug, eine höhere Gewichtung von kommunikativen und sozialen Fähigkeiten bereits bei der Zulassung sowie der Umgang mit wissenschaftlichen Konzepten und Methoden schon während des Studiums. Neben hochspezialisierten an Universitätskliniken behandelten Fällen sollen die Studierenden zukünftig schwerpunktmäßig alltägliche Erkrankungen kennenlernen.
„Derjenige, der Medizin ohne Bücher studiert, segelt in nicht kartierten Gewässern. Aber derjenige, der Medizin ohne Patienten studiert, wird gar nicht erst zur See fahren.“
Sir William Osler, kanadischer Mediziner, Physiologe und Medizinhistoriker (1849-1919)