Neues Lehrkonzept im Fach Gynäkologie will das Interesse zukünftiger Fachärzte wecken
Das Fach Gynäkologie ist für Lehrende eine Herausforderung: Es gilt, eine riesige Stoffmenge interessant zu vermitteln. Denn die Gynäkologie deckt nicht nur die gesamte Spanne des Lebens von der Entstehung bis zum Ende ab, sondern beschäftigt sich auch mit Kinderwunsch, Geburt, Onkologie oder Stoffwechselproblemen – und das bei Patientinnen aller Altersklassen. Als Querschnittsfach gibt es viele Berührungspunkten mit anderen Fächern wie Urologie, Onkologie, Innere Medizin oder Chirurgie und unzählige interdisziplinäre Therapieansätze.
An der Universitätsfrauenklinik in Heidelberg geht man seit dem Wintersemester 2016/2017 neue Wege in der Lehre und setzt auf mehr Individualität, mehr Praxis und weniger Anwesenheitspflicht. Damit möchte man das Interesse für dieses spannende und vielseitige Fach wecken. Anlass war eine Umfrage unter Studierenden, deren Ergebnis die beiden Lehrbeauftragten Prof. Dr. Florian Schütz, Allgemeine Frauenheilkunde und Geburtshilfe und Dr. Alexander Freis, Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsstörungen, nicht zufriedenstellte: Die angehenden Mediziner vermissten im Vergleich mit anderen Fächern flexible Module, wünschten sich mehr praktischen Unterricht. Ein bekanntes Problem im Fach Gynäkologie: „Aufgrund der in der Regel sehr intimen Untersuchungen ist das kaum möglich“, erklärt Freis.
E-Learning Portal hilft, erlernte Inhalte zu vertiefen
Das neue Lehrkonzept sieht für alle Studierenden ein verpflichtendes, einwöchiges Blockpraktikum vor. Die Studierenden tauchen dabei jeden Morgen für einige Stunden in den Klinikalltag ein und nehmen an Frühbesprechungen, Operationen, Geburten und Spezialsprechstunden teil. Sie werden 1:1 betreut und begleiten die Ärzte auf die Stationen und in den Kreißsaal. Die „klassische“ Vorlesung im Hörsaal vermittelt Basiswissen, setzt Akzente und ordnet das Fach im medizinischen Kontext ein. Tiefergehende theoretische Inhalte erarbeiten sich die Studierenden im Selbststudium. Ein E-Learning Portal mit Probeklausuren und ein Wiederholungs-Repetitorium helfen, die erlernten Inhalte zu vertiefen. „Wer wenig für die Gynäkologie übrig hat, kann sich das Fach so rasch erarbeiten“, erklärt Schütz.
„Wir erleben bei unseren Studierenden eine deutliche Steigerung der Motivation.“
Prof. Dr. Florian Schütz, Leiter des Brustzentrums und Stellvertretender Klinikdirektor der Abteilung Allgemeine Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Interessierte dagegen können die vollen vier Wochen – so lange dauert der Einsatz in der Gynäkologie insgesamt – nutzen, um mehr zu lernen. Das neue Lehrkonzept bietet ihnen dazu eine Vielzahl an Seminaren und Übungen, in denen sie eigene Schwerpunkte setzen und praktische Fertigkeiten trainieren können. Heiß begehrt unter den Studierenden sind Untersuchungs-Simulationen an Übungs-Phantomen oder -Puppen:
> Ultraschalluntersuchungen werden an einem vom Ärztlichen Direktor der Frauenklinik, Prof. Dr. Christof Sohn, entwickelten Simulator geübt.
> Besonders beliebt sind die Untersuchungs-Simulationen an Phantomen oder Bauchspiegelungen am Hysteroskopie- und Laparoskopie-Trainer sowie die Kurse im Labor für „in vitro Fertilisation“ (IVF-Labor).
> Eine Gebärpuppe ermöglicht den Studierenden Einblicke in die Geburtshilfe.
Eine Kooperation mit dem Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen NCT ermöglicht die Teilnahme an interdisziplinären Fallkonferenzen. In diesen „Tumorboards“ besprechen die Gynäkologen gemeinsam mit Medizinern aus anderen Fachbereichen die Therapie der Krebspatienten/innen. Nacht- und Wochenenddienste können im Krankenhaus Salem absolviert werden. Dabei ist die Chance hoch, eine Geburt mitzuerleben. Für Schütz eine große Chance: „Man sollte während des Studiums nicht nur Menschen sterben sehen, sondern auch erleben, wie bei einer Geburt Leben beginnt.“
„In Italien erhalten Studierende diese Möglichkeiten nicht.“
Maria Giuliana Vassallo, Erasmus-Studentin
Erste Auswertungen sowie persönliche Erfahrungen der Dozenten sind durchweg positiv. Alle berichten über eine deutliche Steigerung der Motivation. „Diese moderne Form der Lehre kommt offenbar gut an“, so Lehrkoordinatorin Dr. Dr. Sabine Heublein aus der Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Das bestätigt Maria Giuliana Vassallo. Die junge Italienerin kam als Erasmus-Studentin nach Heidelberg und ist vom neuen Lehrkonzept begeistert. Beeindruckt haben sie vor allem die Teilnahme an einem „Tumorboard“ sowie die Einheiten am Hysteroskopie- und Laparoskopie-Trainer. „Das ausprobieren zu können fand ich sehr spannend.“ In Italien, erzählt sie, erhalten Studenten diese Möglichkeiten nicht. „Auch das Blockpraktikum fand ich wirklich gut. Man hat uns gezeigt, wie Gynäkologie im Alltag funktioniert.“ Was ihr besonders gut gefiel: „Alle Professoren und Dozenten waren so begeistert von ihrem Fach.“ Ihr Interesse für die Gynäkologie wurde so geweckt, sie hat sich zu einer anschließenden Famulatur entschieden. Heike Dürr
Bildzeile: Dr. Alexander Freis, Lehrbeauftragter aus der Abteilung Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsstörungen und Medizinstudentin Rahel Pilgrim am Hysteroskopie-Trainer.
Für die Prüfung im Fach Gynäkologie sind neben einer Klausur praktisch-relevante Aufgaben zu lösen. Dazu gehören:
- Erklärung vorgelegter Instrumente.
- Interpretation einer Kardiotokographie (CTG, = Registrierung und Aufzeichnung der Herzschlagfrequenz des ungeborenen Kindes und der Wehentätigkeit bei der werdenden Mutter).
- simulierte gynäkologische Untersuchungen.
Die Gynäkologie in Heidelberg
Ursprünglich war die Universitätsfrauenklinik in Heidelberg in die pathologische, radiologische, endokrinologische und allgemeine Gynäkologie mit Geburtshilfe aufgeteilt.
Diese Bereiche wurden in die Abteilungen „Allgemeine Frauenheilkunde und Geburtshilfe“ und „Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsstörungen“ zusammengefasst, die gemeinsam die Lehre gestalten. Ein Konstrukt, das es bundesweit nur zwei Mal gibt und das fachkompetente Lehre auch in der Reproduktionsmedizin gewährleistet.

Außenaufnahme der Universitäts-Frauenklinik mit dem „Eingang Lehre“ – in diesem Gebäudeteil findet die Ausbildung der Medizinstudierenden statt.