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„Mit Spass lernt man leichter, lieber und schneller“

18. Dezember 2017

Lehrkonzept „Virtuelle Anatomie“ feiert 10. Geburtstag

Das Lehrformat „Virtuelle Anatomie“ am Institut für Anatomie und Zellbiologie der Medizinischen Fakultät Heidelberg feiert in diesem Jahr seinen 10. Geburtstag. Es präsentiert sich mit modernster Technik und einem bundesweit einmaligen Konzept: Bereits im ersten Semester ihres Medizinstudiums lernen die Studierenden im makroskopischen Präparationskurs den normalen Aufbau des Menschen kennen – und zwar nicht nur beim Sezieren eines echten Körpers, sondern auch mit Hilfe modernster Bildgebungsverfahren. Die Studierenden betrachten die dreidimensionalen Aufnahmen auf Monitoren am Präparationstisch und können sich damit leichter im menschlichen Körper orientieren. Grundlage sind schichtweise gemachte Röntgenbilder der Leiche mit Hilfe der Computertomographie.

Die ursprüngliche Idee stammt von den Radiologen Prof. Dr. Hendrik von Tengg-Kobligk und Prof. Dr. Frederik L. Giesel aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum. Bei Prof. Dr. Joachim Kirsch, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Anatomie und Zellbiologie, und Dr. Sara Doll, Leiterin des Präparatoriums und Sammlungsbeauftragten, rannten sie offene Türen ein. Unterstützt durch die Klaus Tschira-Stiftung konnte der Kurs 2007 starten, bis heute wird das Seminar interdisziplinär unterrichtet. Seit 2012 erlaubt ein modernes CT-Gerät Ganzkörperscans der Leichen und seit zwei Jahren können diese Scans auch mit Kontrastmittelinjektionen durchgeführt werden. Neben Knochen, Weichteilen und Organschatten sind nun auch Gefäße darstellbar.

„Virtuelle Anatomie“ – die Vorteile im Überblick:

  • Die mit Hilfe der CT-Aufnahmen gewonnen 3D-Darstellungen lassen sich von Dozenten und Studierenden jederzeit direkt am Präpariertisch abrufen und mit Erkenntnissen vergleichen, die bei der Untersuchung einer echten Leiche oder aus Lehrbüchern gewonnen wurden.
  • Lage und Anatomie verschiedener Strukturen werden deutlich und können in unterschiedlichen Ebenen betrachtet werden.
  • Selbst wenn die Strukturen durch die klassische Präparation schwer darzustellen sind oder entfernt wurden, lassen sie sich digital immer wieder neu rekonstruieren.
  • Abweichungen von der „normalen“ Anatomie, z. B. durch Tumoren, vergrößerte Organe, Gefäßanomalien oder Arteriosklerosen, sind durch die virtuelle Vorbereitung bekannt und können bei der Schnittführung berücksichtigt werden – eine Vorgehensweise, die auch im chirurgischen Alltag zum Einsatz kommt.

Auch die Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA) ist von den Vorteilen des „virtuellen Seziertischs“ überzeugt und zeichnete das Lehrkonzept im Herbst 2017 mit dem Projektpreis zur Weiterentwicklung der Lehre aus.

Zwar ist es für die Studierenden nicht möglich alle im Kurs erlernten Informationen dauerhaft abzuspeichern, aber „wir setzen gezielt sogenannte Landmarks“, erklärt Tutorin Kerstin Klopries. Das sind bestimmte knöcherne Strukturen und Standardebenen, die sich gut einprägen lassen. „Wenn man sie später auf radiologischen Darstellungen wiederfindet, ist die Orientierung einfacher.“

 

„Die Projekte sind wegweisend für die Ausbildung im sonst eher trockenen Lernfach Anatomie in diesem und dem kommenden Jahrzehnt.“

Prof. Dr. Joachim Kirsch, Geschäftsführender Direktor des Anatomischen Instituts

 

Jeder der 20 Präpariertische ist mit einem PC ausgestattet, der auch den Zugriff auf die Vergleichsdaten der anderen Leichen ermöglicht. Zwei zusätzliche virtuelle Präpariertische, die sogenannten Anatomage-Tische, erlauben die Darstellung der Körperspender in Originalgröße und beinhalten spannende Fallbeispiele wie z. B. Schussverletzungen. Ein weiterer Anatomage-Tisch steht den Kursteilnehmern in der Unibibliothek zur Verfügung. Die Arbeit an einer tatsächlichen Leiche bleibt dennoch auch zukünftig wichtigster Bestandteil des Kurses. „Nur so lernt man, räumliche Verhältnisse und tiefer liegende Strukturen einzuschätzen“, erklärt Sara Doll. „Und auch die haptische Komponente ist nicht zu ersetzen.“

3D-Lernen optimale Vorbereitung auf den Ultraschallkurs

Dr. Daniel Paech vom DKFZ konnte die Wirksamkeit des Konzeptes sogar in Studien nachweisen. Er sagt: „Wir unterrichten eine computeraffine Generation – virtuelle Anatomie ist daher ein naheliegendes Lernmedium.“ Sara Doll ergänzt: „Den Studierenden macht das jede Menge Spaß und mit Spaß lernt man leichter, lieber und schneller.“ Und nicht nur das: Das Lernen mit Hilfe der 3D-Aufnahmen bereitet die Studierenden optimal auf den einwöchigen vorklinischen Ultraschallkurs vor. Dieser findet unter der Leitung von PD Dr. Ralph Nawrotzki, Lehrbeauftragter des Anatomischen Instituts, am Anfang des zweiten Semesters statt.

Heike Dürr

 

Die Vorbereitung einer Körperspende

Die im makroskopischen Präparationskurs untersuchten Leichen werden speziell für Aus- und Weiterbildungszwecke an die Heidelberger Anatomie gespendet. Verstirbt ein solcher Spender, wird mit den zuletzt behandelnden Ärzten besprochen, ob er sich für den Kurs eignet. Ausschlusskriterien sind meldepflichtige Erkrankungen, die Amputation vollständiger Extremitäten oder eine kürzlich erfolgte Operation am Gefäßsystem, die die Injektion von Kontrast- und Konservierungsmitteln verhindert.

Wurde die Leiche ans Anatomische Institut überführt, folgt ein CT-Ganzkörperscan – unter bestimmten körperlichen Voraussetzungen mit Kontrastmittelinjektionen. Das Verfahren basiert auf einer in Heidelberg speziell für die Anatomie entwickelten Technik. Verwendet wird eine Mischung aus Paraffinöl und einem Kontrastmittel, das in der Schweiz speziell für postmortale Bildgebung entwickelte wurde. Dann wird der Körper einbalsamiert und gelagert. Mindestens drei Monate dauert es, bis die Konservierungsflüssigkeit das Gewebe vollständig durchdrungen hat. Erst dann steht die Leiche den angehenden Ärzten zur Verfügung.

 

„Virtuelle Anatomie“: Optimale Vorbereitung auf den Ultraschallkurs

Ultraschallkurs zu Beginn des zweiten Semesters im Medizinstudium: Die Studierenden schallen unter der fachkundigen Betreuung von PD Dr. Ralph Nawrotzki den Bauch ihrer Kommilitonen.

 

Das Seminar „Virtuelle Anatomie“ bereitet die Studierenden optimal auf den einwöchigen vorklinischen Ultraschallkurs unter der Leitung des Lehrbeauftragten des Anatomischen Instituts, PD Dr. Ralph Nawrotzki, am Anfang des zweiten Semesters vor. „Das ist bundesweit einzigartig, normalerweise wird Sonographie eher in einem Schnupperkurs angeboten.“ In Heidelberg ist Sonografie ein Wahlfach, die Note kann auf Wunsch auf dem Examenszeugnis erscheinen. Unter optimalen Bedingungen kann durch den Fokus auf zwölf ausgewählte Standardebenen die topographische Anatomie des Abdomens am Lebenden studiert werden. Dazu schallen die Teilnehmer den Bauch ihrer Kommilitonen in Echtzeit, geben Atemkommandos und beschreiben, was sie auf den Monitoren gerade sehen. Die Studierenden lernen Muster in der Bildgebung zu erkennen und trainieren dadurch „sowohl ärztliches Verhalten als auch Respekt vor dem Patienten“, so PD Dr. Nawrotzki. Ein erfahrener Seniortutor ist mit einem neuen Kollegen für fünf Studierende zuständig. So kann das Ausbildungsniveau gleichmäßig hoch gehalten und eine faire Notenvergabe gewährleistet werden.

 

„Wir vermitteln die klinische Relevanz anatomischen Wissens und den respektvollen Umgang mit Patienten.“

PD Dr. med. Ralph Nawrotzki, Lehrbeauftragter des Instituts für Anatomie und Zellbiologie

 

Der Kurs wird durch Studiendekanat und Fachschaftsrat finanziert und zusammen mit den Tutoren permanent weiterentwickelt. Das Kursheft in Form eines ausführlichen und bebilderten Arbeits- und Lehrheftes ist auch im weiteren Studium und dem späteren klinischen Alltag hilfreich. Es enthält neben anatomischen Grundlagen, ausführlichen Darstellungen von Ultraschalltechniken und vielen Beispielen Checklisten und jede Menge klinisch relevante Tipps und Tricks.

Heidelberger Ultraschallkurs auch für Studenten renommierter europäischer Universitäten

Der vorklinische Ultraschallkurs wurde in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal für ausgewählte Studenten renommierter europäischer Universitäten wie Cambridge oder dem schwedischen Karolinska Institut in englischer Sprache angeboten. Die Teilnehmergruppe der „Student’s Academy of Sonography Heidelberg“ verbringt in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst DAAD eine Woche in Heidelberg. Kurs und ein Rahmenprogramm sollen die zukünftigen Ärzte nicht nur für das Universitätsklinikum und das studentische Leben in Heidelberg begeistern, sie tragen auch zur internationalen Vernetzung bei. Das Konzept, klinisch relevante Anatomie am Lebenden zu unterrichten, kommt auch bei ihnen gut an. In ihrer Evaluierung gaben alle bisherigen Teilnehmer an, mit dem Universitätsklinikum in Kontakt bleiben zu wollen und den Kurs ihren Kommilitonen weiterzuempfehlen. Derzeit wird überlegt, das Angebot auf weitere europäische und transatlantische Universitäten auszuweiten.

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