Professorin Dr. Grüters-Kieslich, neue Leitende Ärztliche Direktorin des Klinikums, im Interview
Kliniken und Forschungsinstitute vernetzen, Kooperationen ausbauen, Digitalisierung vorantreiben, aber auch Mitarbeiter fördern und eine Kultur der Wertschätzung, Achtsamkeit und Empathie stärken: Professorin Dr. Annette Grüters-Kieslich (62), seit knapp drei Monaten neue Leitende Ärztliche Direktorin des Universitätsklinikums Heidelberg, hat viel vor in ihrer Amtszeit. Trotzdem nahm sie sich die Zeit für ein KlinikTicker-Interview.
Frau Prof. Grüters-Kieslich, Sie sind seit knapp drei Monaten im Amt. Wie ist Ihr erster Eindruck?
Bislang war ich jeden Tag aufs Neue erstaunt, wie freundlich und vertrauensvoll die Atmosphäre in allen Bereichen war, in die ich Einblick hatte. Dies ist sicher der kompakten Lage des Heidelberger Campus geschuldet – Kollegen begegnen sich häufig, können sehr nahe und eng miteinander arbeiten. Was immer mir an schwierigen Themen begegnet ist, stets lag der Fokus auf einer gemeinsame Lösungssuche. Und das ist gut.
Was hat Sie daran gereizt, nach Heidelberg zu kommen?
Das Heidelberger Klinikum ist für mich das Beste in Deutschland. Es war ein großartiges Angebot, hier her zukommen und mitgestalten zu können, dass dieses Haus noch besser wird. Während meiner Tätigkeit im Aufsichtsrat unseres Klinikums hatte ich ja schon Einblicke gewonnen und war immer begeistert, dass hier kein Stillstand ist, sondern wichtige Dinge aktiv und mutig angegangen werden.
Was ist Ihnen für Ihre Amtszeit wichtig?
Aus meiner Sicht gilt es, das vorhandene Potential auszuschöpfen. Wir dürfen uns nicht auf unserer hohen Qualität ausruhen, sondern müssen alles, was an Verbesserung möglich ist, anpacken. Dazu gehören z. B. die Ausgestaltung von und die Suche nach neuen Kooperationen, die Stärkung der Leistungserbringer und das Einwerben von mehr Geld für die Hochschulmedizin und akademische Ausbildung. Wichtig ist auch, die Digitalisierung – Stichwort elektronische Patientenakte, aber nicht nur diese – voranzutreiben.
Sie sprachen das Thema Kooperationen an…
Auch dieser Bereich liegt mir sehr am Herzen. Heidelberg soll das Beispiel sein, das beweist, dass außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und Universitäten zielorientiert und professionell zusammenarbeiten können. Hierfür existiert bereits eine hervorragende Basis: Es gibt herausragende Kooperationen, z. B. mit Wissenschaftseinrichtungen wie DKFZ und EMBL, aber auch zu einer Vielzahl anderer Krankenhäusern und Niedergelassener. Diese mitzugestalten und zu managen ist für mich eine große Freude. Ich bin davon überzeugt, dass Universitätsklinika, die mit anderen Forschungseinrichtungen und Versorgern in der Region gut kooperieren, unser Gesundheitssystem entscheidend weiterentwickeln.
„Ich muss mich dafür interessieren, wie es meinem Kollegen und meinem Team geht, genauso, wie ich auch für mich selbst sorgen sollte.“
Welche Talente und Stärken unter den Mitarbeitern möchten Sie fördern?
Neugierde, Innovationsfreude und Mut für Neues. Unsere Mitarbeiter müssen die an unser Haus gestellte gesellschaftliche Aufgabe, die Gesundheit der Menschen zu verbessern, annehmen und sie vorantreiben. Alle Mitarbeiter im ärztlichen Bereich sollten sich für die Wissenschaft interessieren und sich nach ihren Möglichkeiten engagieren, das ist unser Alleinstellungsmerkmal und unser Auftrag.
Wie möchten Sie das wissenschaftliche Engagement der Ärzte unterstützen?
Unseren Ärzten soll genügend „geschützte“ Zeit gegeben werden, ihre Rolle als Wissenschaftler leben zu können; hier müssen wir Möglichkeiten durch entsprechende Rahmenbedingungen schaffen. Unser Klinikum soll noch attraktiver für wissenschaftlich orientierte Ärzte werden.
Welche Herausforderung sehen Sie für den Pflegeberuf?
Ganz klar, auch für die Pflege und Gesundheitsfachberufe müssen wir einen Beitrag leisten, dass der Pflegeberuf mehr Wertschätzung erfährt und attraktiver wird. Wichtig sind hierfür beispielsweise die Akademisierung des Berufsbildes Pflege, Projekte wie interprofessionelle Ausbildung und die gelebte Wertschätzung.
Welcher Typ Chef sind Sie?
Ich bevorzuge flache Hierarchien und beziehe gerne viele Berufsgruppen in meine Arbeit und Entscheidungen mit ein. In gewisser Weise bin ich ein Perfektionist – ich möchte die Themen durchdringen und eine gute Vorbereitung und eine entsprechende inhaltliche Auseinandersetzung sind für mich unerlässlich. Aufgrund meiner übergeordneten Funktion und der Aufgabenfülle ist dies jedoch nicht möglich, daher freue ich mich, hier Teams mit großer Expertise vorzufinden, auf die ich mich verlassen kann.
Welche Unternehmenskultur möchten Sie unterstützen?
Eine Kultur der Leistungsbereitschaft , aber auch der Achtsamkeit und der Empathie. Ich muss mich dafür interessieren, wie es meinem Kollegen und meinem Team geht, genauso, wie ich auch für mich selbst sorgen sollte.
Was mögen Sie überhaupt nicht?
Unklare Zuständigkeiten. Es muss klar sein, wofür jemand zuständig ist und wofür nicht. Und hierfür muss ich dann auch die Verantwortung übernehmen.
Sie haben einen 24/7 Job übernommen. Wie gelingt es Ihnen, Arbeit und Privates miteinander in Einklang zu bringen?
Ein Fulltime-Job ist für mich nichts Neues, das war an allen Stationen meines Arbeitslebens für mich selbstverständlich. Gerne nutze ich am Wochenende die Zeit zum Nachdenken, Dinge zu Papier zu bringen oder Konzepte zu entwickeln. Das geht am Schreibtisch genauso gut wie im Urlaub. Hervorragend finde ich meinen halbstündigen Fußweg zur Arbeit – ideal zum Nachdenken. Meine Familie lebt auch weiterhin in Berlin. Natürlich versuche ich, am Wochenende so oft wie möglich nach Hause zu fahren oder meine Familie nach Heidelberg zu locken.
Prof. Dr. Grüters-Kieslich und ihre Ziele …
… für 2017: Abschluss der Detailplanung für den Bau des Hopp-Kindertumorzentrums am NCT Heidelberg (KiTZ) auf der Basis einer stehenden Finanzierung, Initiierung der Baumaßnahme für ein Herzzentrum, Stärkung der Kooperation mit den klinisch tätigen Tochterunternehmen, Konzeption für neue Kooperationen mit dem DKFZ und EMBL.
… für 2018: Start der Sanierung Kopfklinik, Planungsarbeit für das Herzzentrum, Umsetzung eines Personalentwicklungskonzepts für wissenschaftlich tätige Ärzte und Ärztinnen, Entwicklung der Kooperation mit internationalen Partnern, Vorbereitung des Einzugs in die neue Chirurgie
… für 2019: Einzug und Funktionsaufnahme der neuen Chirurgie, Abschluss erster Meilensteine der Volldigitalisierung mit Einführung der elektronischen Patientenakte in der Intensivmedizin, auf Normalstation und über die Sektorengrenzen hinaus in den ambulanten Bereich (Hochschulambulanzen, NCT sowie in Kommunikation mit den Primärversorgern).
>> Im Steckbrief: Professorin Dr. Annette Grüters-Kieslich
Akademischer und beruflicher Werdegang
1973 ‐ 1980: Studium der Medizin an der Ruhr‐Universität‐Bochum und der Freien Universität Berlin
1980 ‐ 1986: Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Kinderklinik der Freien Universität Berlin
1982: Promotion
1986 ‐ 1992: Hochschulassistentin an der Kinderklinik der Freien Universität Berlin
1991: Habilitation
1992 ‐ 1996: Oberärztin der Kinderklink des Rudolf‐Virchow‐Klinikums der Freien Universität, ab 1996 der Kinderklinik des Universitätsklinikums Charité der Humboldt‐Universität zu Berlin
1996 ‐ 2008: Leitung der Poliklinik und des Sozialpädiatrischen Zentrums für chronisch kranke Kinder des Otto‐Heubner‐Centrums für Kinderheilkunde und Jugendmedizin der Charité‐Universitätsmedizin Berlin
1998: C3‐Professur für Pädiatrische Endokrinologie an der Medizinischen Fakultät der Humboldt‐Universität zu Berlin
2003 ‐ 2008: Leitung des Instituts für Experimentelle Pädiatrische Endokrinologie der Medizinischen Fakultät der Humboldt‐Universität zu Berlin
2004: C4‐Professur für Pädiatrische Endokrinologie an der Medizinischen Fakultät der Humboldt‐Universität zu Berlin
2005 ‐ 2008: Ärztliche Leiterin des Charité‐Centrums 17 (Centrum für Frauen‐, Kinder‐ und Jugendmedizin mit Perinatalzentrum und Humangenetik)
2008 ‐ 2015: Dekanin der Charité‐Universitätsmedizin Berlin
2011 – 2017: Mitglied des Aufsichtsrats des Universitätsklinikums Heidelberg
2013 ‐ 2015: Mitglied des Vorstands des Berliner Instituts für Gesundheitsforschung
2015 – 2017: Direktorin der Klinik für Pädiatrie der Charité‐Universitätsmedizin Berlin mit Schwerpunkt Endokrinologie und Diabetologie
Seit 1. Juli 2017: Leitende Ärztliche Direktorin Universitätsklinikum Heidelberg