Zu Besuch im Institut für Rechts- und Verkehrsmedizin

Verpflichtet den Lebenden und den Toten

Rechtsmediziner Professor Dr. Karl-Friedrich Boerne aus dem Münsteraner Tatort ist der bekannteste Vertreter seiner Zunft. Mit der Realität hat dessen Auftreten in der TV-Reihe allerdings nur wenig zu tun. Wer wissen möchte, was Rechtsmedizin heute leistet, findet Antworten bei einem Besuch im Institut für Rechts- und Verkehrsmedizin am Universitätsklinikum Heidelberg. Professor Dr. univ. Kathrin Yen und ihre 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – darunter etwa 15 Wissenschaftler aus Medizin, Chemie, Pharmazie, Psychologie, Biologie, MR-Physik und Medizininformatik – arbeiten hier gemeinsam am „Gerichtssaal der Zukunft“.

Die Schwerpunkte des Instituts liegen auf den Gebieten forensische Medizin und Genetik, Fahreignung und Toxikologie. Enorme technische Entwicklungen stellen Professor Yen und ihr Team dabei vor große Herausforderungen: Molekulargenetische Analysen – Stichwort Mikrospuren – bieten völlig neue Impulse für die Tätersuche. Moderne bildgebende Verfahren wie beispielsweise die Hochfeld-MRT können selbst kleinste Blutungen an Todesopfern sichtbar machen. Hier arbeitet das Institut eng mit der Abteilung Radiologie des Deutschen Krebsforschungszentrums zusammen. Auch der 3D-Druck anhand von CT-Aufnahmen hat in die Gerichtsmedizin Einzug gehalten – besonders, wenn es um Schädelverletzungen geht. Am Muster der Verletzungen lässt sich die Anzahl und Richtung der Schläge, ihre Wucht und möglicherweise auch die Form der Waffe erkennen – ohne den Schädel des Verstorbenen präparieren zu müssen. Ein großes Thema im Fachgebiet ist auch die präzise dreidimensionale Darstellung von Unfall- oder Tatorten. Die forensische Toxikologie beschäftigt sich mit dem Nachweis von körperfremden Substanzen (Alkohol, Drogen, Medikamente), um Straftaten oder Todesfälle aufklären zu können.

Immer mehr gerät auch der lebende Mensch in den Fokus: 2012 rief Professor Yen die Gewalt- und Opferambulanz ins Leben, an die sich Betroffene rund um die Uhr zur Sicherung von Gewaltspuren wenden können. Die Ambulanz bietet körperliche Untersuchungen einschließlich der  Dokumentation von Befunden und Sicherung von Spuren an Tätern und Opfern, z.B. nach körperlichen Auseinandersetzungen, Sexualdelikten oder Kindesmisshandlung und -missbrauch.

In unserer Online-Bildergalerie stellen wir die Abteilung vor:

Professor Dr. univ. Kathrin Yen ist seit 1. März 2011 Ärztliche Direktorin des Instituts für Rechts- und Verkehrsmedizin am Universitätsklinikum Heidelberg. Zuvor leitete sie das Ludwig Boltzmann Institut für Klinisch-Forensische Bildgebung in Graz und von 2007 bis 2009 die Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Graz in der Steiermark.

Professor Yen im Sektionssaal bei der Asservierung, d.h. der sachgerechten Entnahme und Aufbewahrung von Organproben. Zu den Aufgaben des Instituts gehört u.a. die Aufklärung unklarer und nichtnatürlicher Todesfälle durch Obduktion inkl. der Untersuchung von Geweben.

Im November 2012 eröffnete das Universitätsklinikum die erste Gewaltambulanz in Baden-Württemberg. Menschen jeden Alters und jeder Herkunft, denen körperliche oder sexuelle Gewalt angetan worden ist, erhalten hier eine umgehende rechtsmedizinische Untersuchung, eine gerichtsfeste Dokumentation von Verletzungen und eine Spurensicherung. Auf dem Foto skizziert Professor Kathrin Yen nach einer Untersuchung genau, welche Verletzungen das Opfer erlitten hat. Diese penible Dokumentation verbessert die Situation der Opfer in späteren Strafverfahren.

Gewaltambulanz: Nach einer Gewalttat sollten die Opfer schnellstmöglich die klinisch-forensische Ambulanz aufsuchen, damit Verletzungen noch frisch und leicht vergängliche DNA-Spuren sowie Substanzen wie z.B. „KO-Tropfen“ überhaupt noch nachgewiesen werden können. Alle vorhandenen Verletzungen und Befunde werden für eventuelle spätere Verfahren gerichtsfest dokumentiert.

Gewaltambulanz: Hier werden Verletzungen nach einer Kindesmisshandlung erfasst. Die Gewaltambulanz richtet sich jedoch nicht nur an alle Menschen, die von Gewalt betroffen sind, sondern auch an Personen, die einer Tat bezichtigt werden, also an Tatverdächtige. Denn so wichtig es ist, dass die Rechtsmediziner belastendes Material bei Tätern und Opfern finden: Auch entlastendes Material wird hier gesucht. Es geht immer darum, herauszufinden, was sich tatsächlich zugetragen hat in einem Fall.

Gewaltambulanz: Die exakte Vermessung von Verletzungen gehört ebenso zum rechtsmedizinischen Untersuchungsstandard wie eine ausführliche Dokumentation aller Befunde.

Gewaltambulanz: In vier von fünf Fällen packen die Rechtsmediziner ihre Untersuchungskoffer und fahren direkt in die umliegenden Krankenhäuser; sie untersuchen mutmaßliche Täter in der Arrestzelle oder werden vom Jugendamt oder der Polizei angefordert. Nur das restliche Fünftel der Untersuchungen findet in dem kleinen Raum des alten Klinkerbaus im Altklinikum statt.

Forensische Genetik: Unter Identitätsuntersuchungen versteht man Untersuchungen zur Identifizierung von Leichen oder Leichenteilen (Weichgewebe oder Knochen) mittels Vergleichsprobe (z.B. Zahnbürste oder Rasierapparat einer vermissten Person), oder auch die Untersuchung von Blut- oder Urinproben oder histologischen Präparaten zur Feststellung, ob biologisches Material wirklich der richtigen Person zugeordnet wurde oder ob eine Verwechslung stattgefunden hat.

Mit einem Mundschleimhautabstrich wird eine Speichelprobe gewonnen. Molekulargenetische Analysen haben das Spektrum der Rechtsmedizin in den letzten Jahren maßgeblich erweitert und völlig neue Impulse für die Tätersuche gegeben. Auch bei Abstammungsbegutachtungen (Vater- oder Mutterschaftstest) und Identitätsuntersuchungen haben genetische molekularbiologische Analysen eine überragende Bedeutung.

Das Labor des Instituts für Rechts- und Verkehrsmedizin ist nach DIN EN ISO 17025 für forensisch-toxikologische Untersuchungen akkreditiert.

Forensische Toxikologie: Mit einer Haaranalyse kann im Nachhinein der Konsums von Drogen oder Medikamenten nachgewiesen werden. Solche forensisch-toxikologischen Untersuchungen werden meist bei verkehrsmedizinischen Fragestellungen oder für Ermittlungsbehörden und Gerichte durchgeführt, um Fragen einer Abhängigkeit zu klären bzw. die Abstinenz zu beweisen.

3D-Druck in der Gerichtsmedizin: Anhand von computertomographischen Aufnahmen (hier im Bild zu sehen) des Gewaltopfers kann später ein dreidimensionales Modell des Schädels ausgedruckt werden. Das Verfahren eignet sich auch zur Visualisierung knöcherner Verletzungen an Lebenden, wenn klinische CT-Daten verfügbar sind.

3D-Druck in der Gerichtsmedizin: Das Muster der Verletzungen (rot markiert) ist gut zu erkennen, ohne dass der Schädel des Verstorbenen präpariert werden muss.

Forensische Toxikologie: Alkohol, Medikamente, illegale Drogen und Gifte, einschließlich wesentlicher Stoffwechselprodukte, werden nach dem neuesten Stand der Wissenschaft und Technik in Blut, Urin, Haaren, Leichenasservaten und Proben nicht biologischer Herkunft analysiert.

Die hier gezeigte Forensische Rekonstruktion dient dazu, einen Tatablauf zu rekonstruieren. Dadurch lassen sich Aussagen von Tatverdächtigen und Opfern in Bezug auf die festgestellten Verletzungen und Spuren überprüfen und man erhält in vielen Fällen Klarheit über den Ablauf eines gewaltsamen Übergriffs.

Durch kontinuierliche Verfeinerung der Methoden können mittlerweile nicht nur Blutspuren von Geschädigten, sondern zur Tätersuche oder zum Abgleich mit DNA-Identifizierungsmustern von Tatverdächtigen auch kleinste Epithelzellantragungen z. B. am Griff von Tatwaffen erfolgreich untersucht werden. Die Polizeiarbeit wird dadurch maßgeblich unterstützt.

Forensische Bildgebung: Diese bildet derzeit den Forschungsschwerpunkt des Instituts. In einer einzigartigen Zusammenarbeit mit der Radiologie des DKFZ und der Klinischen Radiologie werden Verstorbene mit bildgebenden Verfahren untersucht. Das Beispiel zeigt eine postmortale CT-Untersuchung eines Mannes, der von einem PKW überfahren wurde. Die vor der Autopsie erstellten CT-Aufnahmen ergaben, dass die vorhandenen Knochenbrüche keine umgebenden Einblutungen aufwiesen (weiße Pfeile), und es wurde eine auf eine Tablette verdächtige Struktur im oberen Dünndarm gefunden (roter Pfeil). Dies erlaubte bereits vor der Obduktion die später bestätigte Feststellung, dass der Tod bereits vor dem Unfall aufgrund einer Vergiftung eingetreten war.

Medizinstudium: Auch die medizinische Lehre spielt im Institut eine feste Rolle. Bestandteil ist u.a. die forensische Traumatologie. Hier geht es um die Interpretation von Verletzungsbefunden unter rechtlichen Gesichtspunkten an Lebenden und Toten, um Grundformen der Weichteil-, Knochen- und Organverletzungen, um die Befunddokumentation und um Rückschlüsse aus dem Verletzungsbild auf die Entstehung von Verletzungen (wie z.B. nach Strangulation, stumpfer und scharfer Gewalt, sexuellen Übergriffen oder Verkehrsunfällen).